Metalithikum / Projective Theory of Technology

»printed physics«

»printed physics« war die erste Klausur in einer Reihe von Veranstaltungen, die ich am Laboratory for Applied Virtuality (CAAD, Institute for Information Technology in Architecture, Swiss Federal Institute of Technology ETH in Zurich) zusammen mit der Stiftung Werner Oechslin in Einsiedeln, Schweiz, organisiere. 

Technology is not simply technology, it changes character over time. We suggest there is a twin story to it. We call it metalithicum and postulate that it has always accompanied the story of technology since the Neolithic era. It concerns the symbolics of the forms and schemes humans are applying for accommodating themselves within their environment. We assume that the protagonists of this twin story, the symbolics of those forms and schemes, are also not simply what they are but change character over time. Through the Metalithicum Klausuren, we seek to engender a theoretical perspective on one of the central areas of today’s social dynamic, namely the link between information technology on the one side, and architecture, urbanism and the city as a life form on the other.

 »printed physics«

printed physics pic

Das Thema dieser ersten Klausur »printed physics« nimmt jüngere informationstechnologische Entwicklungen zum Ausgangspunkt, mit denen das physikalische Verhalten von Materie technologisch programmierbar, faktisch konstruierbar, industriell produzierbar und symbolisch determinierbar wird. Es ist heute möglich, eine bestimmte Art von Materie zu erzeugen, deren physikalisches Verhalten wir symbolisch bestimmen können. Solche Materie, zur informationstechnologischen Programmierung und Steuerung aufgerüstet, kann heute mit einem Verfahren hergestellt werden, das auf frappante Weise mit den diversen Drucktechnologien verwandt ist, von den Hochdruckverfahren des analogen Buchdrucks, die an die Lithografie und den Kupferstich erinnernde Herstellung digitaler Prozessoren und memory chips bis zum chemischen Ausdruck von Lichtbildern. Im Fall von ausdruck- baren Solarzellen kann man etwas pointiert sogar sagen, dass anstelle von Tinte auf Papier buchstäblich Ionen in Silizium „eingeprägt“ werden. Mit einem entscheidenden Unterschied allerdings, der schon in den Begriffen „Aufdruck“ und „Einprägung“ aufscheint. Die ausdruckbaren Produkte spielen anders als in allen drucktechnischen Produkten, die wir bisher kennen, keine repräsentative oder auch darstellende Rolle mehr für uns, sondern nur mehr noch eine genuin funktionale. Ausgedruckt werden heute buchstäblich kleine elektronische Apparate, und zwar auf dem Niveau industrieller Produktion. Die rationalen Raster, auf denen die Beschreibung und die Berechnung des physikalisch-kausalen Naturgeschehens basieren, wirken heute als Rahmen zur phantastischen Projektion, nicht mehr länger als Rahmen zur empirischen Deduktion. Wäre es möglich, dass sich im Bereich der Physik eine ähnliche Relativierung ankündigt, wie sie in der Geometrie seit dem frühen 19. Jahrhundert stattgefunden hat? Erleben wir das Aufscheinen einer nicht-determinierten Physik, als Komplement sozusagen zu den nicht-Euklidschen Geometrien?

Denkexperiment

Einmal angenommen, es kündige sich gegenwärtig eine neue Aufklärung der physikalistisch-naturalisierten Rationalität und Logik an. Wie liesse sich das argumentieren? Als Rahmung zu dieser Klausur schlagen wir ein Denkexperiment vor:

Wir wollen die vorneuzeitlichen Klöster einmal als eigentliche „Produktionsstätten“ zur Abschrift der heiligen Texte ansehen, deren Säkularisierung massgeblich durch die quantitativen wie qualitativen Auswirkungen des Buchdrucks mitbefördert worden ist: z.B. die Verfügbarkeit des Mediums „Text“, die Standardisierung der Formate, den Freiraum für einen experimentellen Umgang und den Zugang zu den ehemals rituellen und heiligen Weltbeschreibungen. In einer wenn auch gleichsam umgekehrten Analogie zu dieser Perspektive erscheinen nun heute erstaunlicherweise die Fabriken, Unternehmen und Bürokratien mit ihrer modernen Industrialisierung der säkularisierten Rationalität von einst gleichsam als eigentliche „Klöster“ der Abschrift von physikali- schen „Gesetzmässigkeiten“. Systemisch zu funktionalen Ordnungen integriert und in so mancher informationstechnologischen Infrastruktur kybernetisch etabliert werden diese Gesetzmässigkeiten als Taktgeber gesellschaftlicher, wissenschaftlicher wie wirtschaftlicher Prozesse von „Experten“ vertreten und ihre Wirkmächtigkeit sichergestellt.

Die spannende Frage, die sich unserer Meinung nach daraus ergibt lautet: Wenn der Buchdruck die Säkularisierung der Sinnhorizonte in Philosophie und neuzeitlicher Wissenschaft befördert hat, könnte es nicht sein, dass die neuen Drucktechnologien eine weitere Säkularisierung bewirken werden, die „Säkularisierung“ einer Art heilsversprechender Objektivität in Form des idealisierenden Physikalismus? Aktuelle und drastische Inszenierungen entsprechender und höchst elaborierter Vorstellungen finden wir beispielsweise in der Programmatik wie in der Kommunikation des CERN, oder ganz aktuell auch in derjenigen des Desertec-Projektes. Es scheint einiges dafür zu sprechen, dass die modernen Produktionsverfahren die gleichen Prinzipien wie damals nun auf einem neuen Plateau durchsetzen.

Wir wollen diese Situation entlang zweier Argumentationslinien beleuchten und plausibilisieren, einer qualitativen und einer quantitativen.

Qualitatives Argument

Es ist mittlerweile weder eine neue noch eine gewagte These, dass die Informations- techniken im wesentlichen mit Symboloperationen befasst sind, und dass sich diese Symboloperationen – nicht nur philosophisch betrachtet – nicht in angemessener Weise auf diejenigen Kausalzusammenhänge reduzieren lassen, die wir in der Physik formulieren. Information is not energy nor matter, wie Norbert Wiener vor mittlerweile mehr als einem halben Jahrhundert nahegelegt hat.

Die Wirksamkeit von Informationstechnologie entfaltet sich nicht unmittelbar auf derselben Ebene wie die Wirksamkeit von Hitze, Hebelzügen, Zahnrädern oder anderer mechanischen Apparate. Informationstechnologie steuert die physikalischen Kräfte symbolisch, so die etablierte Redeweise dafür. Das heisst nun auch, dass die Informa- tionstechnik auf einem ganz anderen Substrat operiert als die kausal wirksame physikalisch-materialistische Technik. Eben deshalb, weil nicht die physikalisch beschreibbaren Kräfteverhältnisse der Mechanik ihr Substrat bilden, gilt uns das Substrat der Informationstechnologien heute vornehmlich als „mediales“ Substrat.

Es liegt natürlich nahe, den elektrischen Strom gewissermassen als „Physikalität“ dieses medialen Substrats zu betrachten und damit der aufbrechenden Abgründigkeit des Symbolischen auf klassische Weise eine vertraute Unterlage zu geben. Doch damit ist das Problem nicht gelöst, ganz im Gegenteil. Auch heute noch besteht kein kohärenter Vorschlag, als was man denn nun – aus physikalischer Perspektive – den elektrischen Strom begreifen sollte: hat man sich seine Elemente als Feld, Wellen, als Korpuskel oder als Impuls vorzustellen? Philosophisch betrachtet stellt sich die Situation nicht einfacher dar. Sämtliche elektronische Technologie basiert auf eben jener Analytik von Symbol- operationen, welche zur vorletzten Jahrhundertwende durch ihre genuine Unanschau- lichkeit und Deterritorialität die sogenannte Grundlagenkrise der Wissenschaften ausgelöst und zur Sichtbarkeit verschärft haben.

Im Lichte ingenieurstechnischer Pragmatik erleben wir den elektrischen Strom ganz alltäglich als die Verfügbarkeit von Energie, dem Potential zum Potential gewisser- massen. Wollte man diese Verfügbarkeit nun nicht lediglich als ein nachträglich dazukommendes Charakteristikum begreifen, sondern als etwas, das wir als konstitutiv für den elektrischen Strom betrachten, so eröffnet sich damit eine Kluft im Verhältnis zwischen Symbolisierung und Physik, die hinter derjenigen zwischen einer logischen Geometrie a priori und einer geometrischen Realitätsbeschreibung a posteriori in nichts nachsteht.

Quantitatives Argument

Wurde Informationstechnik seit ihrer Erfindung in erster Linie zur verfeinerten Steuerung, Schaltung und Kontrolle mechanischer Apparate verwendet, vor allem jener, die mit elektrischem Strom betrieben werden, so zeichnet sich gegenwärtig eine ganz andere Anwendungsdimension ab. Mit elektronischen- und informationstechnischen Verfahren lassen sich Materialien nicht nur in ihren qualitativen Eigenschaften verändern und synthetisieren, sondern auch in ihrem physikalischen Verhalten, d.h. in ihrer temporal-energetischen Konstitution. Es sind heute künstliche Materialien herstellbar, indem eine genuin synthetisierte Ionen- und Halbleiterstruktur eingeprägt wird (so werden z.B. siliziumbasierte Halbleiter hergestellt, aber auch organische Trägerstoffe), und dies auch in Kombinationen, die wir bisher aus der Natur noch nicht kennen. Die Photovoltaik ist ein Beispiel dafür. Sie erlaubt es, aus Licht direkt elektrische Energie zu gewinnen, ganz ohne Verbrennungsprozesse, und auch ohne das Dazwischenschalten von anderen kinetischen oder dynamischen Transformatoren. Es bietet sich hier geradezu an, von „symbolischer Physik“ zu sprechen – nicht nur weil die „Mechanik“ genuin symbolisch konstruiert wird (und nicht etwa umgekehrt, dass symbolische Strukturen aus mechanischen Zusammenhängen abgeleitet werden), sondern auch aufgrund ihrer industriellen Fertigungsverfahren, die heute auf Informationstechnik basieren.

Die Prinzipien der Photovoltaik sind seit mehr als einhundert Jahren bekannt, und dennoch sind sie erst seit kurzem zu einer relevanten Komponente in der Diskussion um unsere Energieversorgung geworden. Erst seit wenigen Jahren sind Fertigungs- techniken verfügbar, welche die Produktion von solcherlei programmierter Materialien industriell in grossem Massstab rechenbar machen. Es ist möglich, sie im Druckverfahren zu erstellen, und zwar so, dass funktionierende physikalische Apparätchen buchstäblich bogenweise von den Druckerpressen ausgespuckt werden, gerade so wie die Zeitungsbögen bei der NZZ. Damit einher geht eine quantitative Preis- und Produktionsentwicklung, die für die Informationstechnologie charakteristisch ist: das sogenannte Mooresche Gesetz.

Die quantitative Argumentationslinie geht davon aus, dass jede Entwicklung eine kritische Masse an standardisierten Instanzen benötigt, um sich durchsetzen zu können. Ein solch grossflächiger Nährboden besteht für diese neue Anwendungsdimension der Informationstechnologie erst seit wenigen Jahren, allerdings etabliert sich jene gegenwärtig rasant mit dem ubiquitären Ausstatten unserer Lebensumgebungen mit „smarten“ Computerchips. Diese erlauben es potentiell allen elektrischen Geräten, sich als Komponenten variabel konfigurierbarer Systeme zu verhalten. Die quantitativer Verbreitung systemfähiger Instanzen, eigentlicher symbolfähiger Aktanten, scheint uns vergleichbar mit der kulturgeschichtlichen Revolution des Buchdrucks zu Beginn der Neuzeit, und dies nicht nur in metaphorischer Analogie.

Dieser Vergleich mag vielleicht im ersten Moment als etwas übersteigert erscheinen. Doch haben wir in jüngerer Zeit verschiedene Sprünge erlebt, die wir nicht haben antizipieren können: Es hat beispielsweise nur gerade 10 Jahre gedauert, bis 2.5 Milliarden Menschen – was ca. 40 % der aktuellen Weltbevölkerung entspricht – informationstechnisch und ohne Kabel potentiell vernetzt sind. Wir können heute, potentiell zumindest, mit jedem zweiten Menschen der Welt telefonieren, unabhängig davon wo sie oder er sich gerade aufhalten mag. Das Aufbauen und Etablieren der für die Mobiltelefonie notwendigen Infrastruktur hat nur gerade eine Dekade gedauert und erscheint uns heute trotzdem schon als alltäglich. Für ein adäquates Einschätzen der Bedeutung dieser quantitativen Argumentation muss man sich vor Augen halten, dass die gleiche Technologie nicht nur im Fall der Mobiltelefonie nahezu bedeutungslos wäre, gäbe es lediglich ein paar tausend Instanzen davon weltweit. Die Verbreitung ist auch in diesem Fall nur auf der Basis der gleichen Produktions- und Fertigungs- verfahren möglich – dank informationstechnischer Drucktechnologie. Dieses gleiche strukturelle Prinzip gilt für die Verbreitung der Fernsehmonitore genau gleich wie für die Internetzugänge, die Navigationssysteme oder für die Wirkmacht von Google: Was wäre wenn Google „nur“ gerade 1 Million Seiten verlinken würde, und nur gerade 10 000 Nutzer hätte, welche ihre Suchfunktionen sporadisch nutzen? Es ist heute faktisch ein Niveau der Standardisierung erreicht, die nicht mehr nur gewisse Qualitäten unserer Verhaltensweisen bedeutungsloser machen – eine Begleiterscheinung jeder Standardisierung – sondern wir scheinen mittlerweile eine Klippe erreicht zu haben, die gleichzeitig und notwendigerweise auf der Basis dieser Standardisierung auch das Ausbilden neuer Qualitäten erlaubt.

Vorschlag von fünf konkreten Fragefeldern zur Diskussion: Serialisierung, oder gar Alphabetisierung des Physischen

Die neuen Drucktechnologien der „symbolischen Physik“ operieren auf einer Art sprachlicher Codierung von Materialität. Wie liesse sich diese Sprachlichkeit auf angemessene Weise beschreiben?

Modell und Repräsentation

Modelle gehen ihren objektiven Referenten voraus. Was bedeuten die genuin symbolischen Konstruktionen für den wissenschaftlichen Modellbegriff?

Logik und Einbildungskraft/Phantasie

Wenn die genuin symbolisch konstruierten Modelle nicht mehr länger als Abbild oder Repräsentanten von objektiven Situationen gelten können, wie wäre dann vor diesem Hintergrund das Verhältnis von Logik und Einbildungskraft/Phantasie neu zu bestimmen?

Naturbegriff und Rationalität

War Rationalität während langer Zeit der Inbegriff von Eindeutigkeit und methodischer Notwendigkeit, abgeleitet aus einen wissenschaftlichen Naturbegriff, wie verändern sich unsere Begriffe von Rationalität und Natur vor dem sich eröffnenden Interpretationsspielraum?

Printed Physics

Die Beiträge werden veröffentlicht im Winter 2012 in der Applied Virtuality Book Series bei Springer.

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Die Vorträge Können Sie auf der Website des laboratory for applied virtuality als Audio Datei hören

Vera Bühlmann

INTRO AND WELCOME

intro

Ludger Hovestadt

THE CHALLENGES OF INTERFACING TECHNOLOGY TO EVERYDAY LIFE

Ludger Hovestadt

Werner Oechslin

ZUR GESCHICHTE DER DENKSYSTEME

Werner Oechslin

Hans-Dieter Bahr

BRINGEN UND STELLEN – WEISEN DER TECHNIK?
UEBERLEGUNGEN ZU MARTIN HEIDEGGER

Hans-Dieter Bahr

Vera Bühlmann

ZUR FRAGE DER KONSTRUKTION IM SYMBOLISCHEN

Vera Bühlmann

Klaus Wassermann

DIE GESCHICHTE MIT DEM MITTELPUNKT. DAS MODELL DER THEORIE IN DER THEORIE DES MODELLS

Klaus Wassermann

Helmut Geisert

EINIGE GEDANKEN ZUR FRAGE DER ANGEMESSENHEIT IN DER ARCHITEKTUR

Helmut Geisert

One thought on “»printed physics«

  1. Pingback: »popularizing insistence« | monas oikos nomos

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