Thinking as an Algebraic Mechanist

New book out: Die Nachricht, ein Medium – Generische Medialität, Städtische Architektonik

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Was würde es bedeuten, die architektonische Frage darüber, wie das Wissensmögliche seine Genese, Fügung und Gliederung findet, unter genuin städtischen Vorzeichen neu zu formulieren? Medialität müsste darin eine zentrale Rolle spielen. Sie wäre der Inbegriff all dessen, was in seinem Bedeutungsgehalt vermittelt, erhalten, entwickelt und erzeugt werden kann. Mit der Inversion von Marshall McLuhans berühmten Dictum „Das Medium ist die Nachricht“ geht es Vera Bühlmann darum, einen generischen Begriff von Medialität zu konturieren, welcher die selbstbezügliche und selbst erzeugende Wendigkeit medialer Instrumentalität zu adressieren vermag. In diesem Sinn wird Medialität als Element verteilter, diskontinuierlicher und sich gegenseitig herausfordernder wie hervorbringender Möglichkeiten konturiert, die einer symbolischen Natur des Allgemeinen entspringen. Dieser Vorstellung spürt die Autorin hier kulturgeschichtlich und gegenwartsdiagnostisch nach.

Ein Pixel.
Zahlen und Buchstaben bespielen die Atomistik der Einbildungskraft.
Medien sind generische Gestalten.
Eine Gestalt ist eine Verbundenheit.
Ein Raster ist eine generische Verbundenheit.
Ein Punkt ist eine Verbindlichkeit.
Ein infinitesimaler Punkt verbindet einen kontinuierlichen Inhalt.
Eine Form ist eine Regelmäßigkeit.
Eine symbolische Form stellt Medialität bereit.
Medialität ist eine Regelmäßigkeit im Verbindlichen.
Ein Vertrag.

 

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INHALTSVERZEICHNIS

Précis

Einleitung

Teil 1     Virtualität und Medialität

1. Zur Genealogie des Medialen

Medien als archimedischer Punkt unserer Weltverhältnisse

Virtualität und die Frage nach dem Konstitutivum von Medien

 

2. Informatisierung als kulturgeschichtliche Wendezone

Zur Notwendigkeit einer Radikalisierung des kritischen Programms

Das Problem der Rahmung eines erweiterten Prinzips der Verfügbarkeit

Grenzen einer phänomenologischen Ontologie

 

3. Aufs Neue Die Frage nach der Referenzialität von Zeichen

Die Begründbarkeit der Information im Element des Symbolischen

Die theoretische Neugierde

Räumliches Denken – Codieren eines Außen nach Übereinkunft

Zusammenfassung

 

Teil 2     Formen und Strukturen von Integrabilität

1. Virtualität und Konstruktionsform

2. Zum Topos der Begrenzung

Ein Planet namens »Terra« oder Der Mythos des Firmaments im Moment der Vermeerung

»Legere in libro naturae« oder Von der Scheidung der Welt in eine Welt der Werte und eine Welt der Fakten

»Relationenontologie« oder Die neuzeitliche Integration von Bewegung in die Art und Weise, Verhältnisse zu bestimmen

Die Relativierung von Stetigkeit als Voraussetzung oder Vom deterritorialisierten Denken bis zur rekombinanten Synthese

 

3. Funktion, Sinn und Form

»Funktion« – Geschichte und Verwendung als Theorie und Technik

Imagination und Methode oder Das Ende der Repräsentation durch die Vorstellung.

Die Frage nach dem Sinn oder Das Problem des Anfangs

Die Idee als »Differential« des Denkens oder Zum Verhältnis von Struktur und Genese im Sprachspiel des Virtuellen

Das »Informelle« oder Zum Konzept der Ähnlichkeit als Medium

Zusammenfassung

 

Teil 3   Virtualisierung von Dialektik: Zum Verhältnis zwischen Theorie und Synthese

1. Die synthetisierende Analyse im Paradigma der Netze

Die Medialität und die Unbestimmtheitsdimensionen des Technischen

 Zur Geschichte und Metaphorik des Begriffs der Spur

 

2. Das Modell und die Simulation: das kontingente Konkrete

Die Simulation: Ersatzoffenbarung oder epistemisches Werkzeug?

Modelle: Mathematical fictions?

Simulacrum, Abbild, und das Herkommen von Templates in fantastisch-antizipierbaren Genealogien

 

3. System, Element, Serie. Inversion mimetischer Traditionslinien

Die Integrität und Existenzweise technischer Objekte

Der Individuationsprozess technischer Entitäten

»Konvergenz« – Grenzen des Konzepts im Sprachspiel des linguistischen Strukturalismus

 

Coda   Ein generischer Begriff von Medialität

 

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AUSZÜGE

Précis

Robert Musil beginnt seinen Roman Der Mann ohne Eigenschaften mit der Überschrift: »Eine Art Einleitung. Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht.«[1] Das Folgende handelt in eindrücklichster Weise von einer Welt, in der sämtliche Eigenschaften generisch sind: eine Welt allgemeiner Natur, in der jedes Ausgezeichnete nur ausgezeichnete Regelmäßigkeit ist, die auf zahlreiche Arten in logistisch ausbalancierten und global-uniformen Verhältnissen variiert: »Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung.«[2] Und so geht es weiter, über mehr als zweitausend Seiten. Das Fantastische an Musils Werk ist nun aber, dass eine solche Schilderung der Dinge in ihrer prinzipiellen Gleichwertigkeit ein absurdes Projekt darstellt, welches den Erzähler in die eigenartige Situation drängt, nicht primär Episoden aneinanderzureihen und ineinander zu verschachteln, sondern Dinge in ihrer generischen Struktur mit Merkmalen von Regelmäßigkeiten auszustatten, sodass jedes im Gesamtgeschehen des Romans interessant aufgeladen, angereichert und von Aktualität durchströmt wird. Doch alles, was geschieht, geschieht nicht über das Anstoßen von Veränderungen in Situationen, über welche eines zum nächsten führt und jegliches, was ausgezeichnet ist, voller Implikationen wäre. Stattdessen geschieht alles in Musils Roman unmotiviert oder zumindest ohne zwingenden Grund, sondern einzig durch die Qualifizierung der Aktualität eines Geschehens. Von diesem Geschehen sprechen wir vielleicht am treffendsten als einem, welches vom Erzähler der Vorstellung eines Großen im Ganzen überantwortet worden ist und von dem dieser, in sachlichem Tonfall, lediglich Nachricht erstattet.

Wir möchten diese Gedanken als einleitendes Bild verwenden, um damit einen bestimmten Vorstellungsraum zum Nachdenken über Kommunikation und Medialität zu evozieren. Wir wollen Information als natürliches Element begreifen und jenem musilschen Qualifizieren von Aktualität, welches darin zum Ausdruck kommt, eine technische Entsprechung zuweisen: das Codieren von elektrischem Strom zur Übermittlung von Signalen. In einer solchen Natur der Allgemeinheit, so die Behauptung, hängt alles – Musils »Großes im Ganzen« – von der Art und Weise ab, wie erzählt wird. Und so wollen wir, von seiner Erzählhaltung ausgehend, die Dinge in ihrer Generik auszustatten und die energetischen Stromkreise zu modulieren, welche sie durchströmen, eine Alternative zum vorherrschenden kybernetischen Bild des Kommunizierenden als Steuermann in den stürmischen Ozeanen der Informationsflut sehen. Während der kybernetische Steuermann sich jegliche Kommunikation im Hinblick auf die Generalität in der Form der abbildbaren Inhalte hin anschaut, so sieht der Erzähler darin eine symbolisch-stoffliche Lösung allgemeiner Intelligibilität und Sensibilität, die er – ähnlich wie ein Chemiker – weiter aufzulösen, anzureichern und zu sättigen sucht.

Fassen wir die Natur des Allgemeinen auf diese Weise als reziprok bestimmbares Verhältnis – zwischen erstens der Vorstellung von einem Großen im Ganzen und zweitens dem Erzählen-Können von allgemeinen Dingen im Horizont dieser Vorstellung des Großen im Ganzen – so ist klar, dass jene Natur des Allgemeinen zwar jedem Erzählenden und jeder Vorstellung zukommt, aber nicht in gleicher Weise. Anders formuliert: Diese Natur des Allgemeinen ist, trotz ihrer reinen Generik, nicht dem Universellen äquivalent. Bezüglich der Vorstellung von Universalität muss vielmehr gelten, dass jegliches generisch Artikulierte, mag es mit noch so viel Erzählvermögen ausgedrückt sein, das Universelle nie erschöpfend zum Ausdruck zu bringen vermag. In diesen Symmetriekonstellationen wird es möglich, den Charakter dieses Allgemeinen zwar als generisch – also ohne Rückgriff auf eine Klassifikation von Natur – zu bestimmen, aber ohne ihn zirkulär und tautologisch begründen zu müssen: Wir können uns das Generische als Inseln unterschiedlich verteilter und unterschiedlich gesättigter Dichten von Allgemeinheit im ozeanischen Element des darin anklingenden Universellen vorstellen.

Mit einem technisch formulierten Bildvergleich können wir präziser fassen, worum es bei einer solchen Natur des Allgemeinen geht: Eine Formulierung, die nichts außer generisch ist, ist eine Gleichung. Doch müssen wir diese nicht notwendigerweise in ihrer Immanenz als Abbildverhältnis fassen, wenn wir das Allgemeine, das darin zum Ausdruck kommt, nicht mit dem Universellen, für das eine Gleichung steht, als deckungsgleich erachten. Halten wir diesen Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Universellen offen, so können wir vielmehr von einem Sättigungsverhältnis des allgemein Formulierten an Universalitätsgehalt sprechen, anstatt von einem Entsprechungsverhältnis des allgemein Formulierten mit universeller Form.

Das Interesse dieses Buches besteht darin, den generischen Charakter einer so gedachten Allgemeinheit zu erwägen. Um diesen Charakter in aller Offenheit in den Blick zu bekommen, wollen wir die beiden reziprok bestimmbaren Pole anschaulicher fassen, um sie besser handhaben zu können: Wir wollen die Vorstellung von einem »Großen im Ganzen« als das Städtische erachten und jenes »Erzählen-Können von Dingen in ihrer Allgemeinheit« als das Mediale. Für beides suchen wir einen generischen Begriff zu formulieren, das heißt einen Begriff von möglichst vermögender Allgemeinheit. Damit diese Suche gleichzeitig in einer offenen Weise gelingen kann, versuchen wir, bei dieser reziproken Bestimmung der beiden Pole vom Standpunkt der Prinzipien ihrer jeweiligen Genese auszugehen.

Damit schlagen wir also vor, Medien nahezu gänzlich aus ihrem epistemologischen Spannungsfeld zu befreien, dessen Schlüssigkeit von einem sich gegenseitig ausschließenden Verhältnis zwischen Natur und Kultur abhängt. Es ist klar, dass wir uns mit dem, was wir darlegen möchten, nicht in einem Element hinreichenden Grundes und notwendiger Schussfolgerungen bewegen können. Vielmehr finden wir uns in einer an Gründen überreichen und üppigen Gegend wieder, welche alle städtischen Dramaturgien jeglicher kosmologischer Ordnungsvorstellungen auf ebenso diskrete wie disparse Weise versammelt. Eine solche Gegend ist nicht nur großzügig, sondern auch gebieterisch, in einer eigenartigen Weise, deren besseres Verständnis von einem adäquaten Begriff von Medialität – im Sinne von Marshall McLuhan dasjenige, was Maßgabe modulierbar macht – abzuhängen scheint. Um einen solchen Begriff von Medialität kreist unser Interesse im Folgenden.

Die Teile eins bis drei des vorliegenden Buches sind der Kern meiner Promotion, die 2009 unter dem Titel Inhabiting Media. Annäherungen an Herkünfte und Topoi medialer Architektonik am Medienwissenschaftlichen Institut der Universität Basel, Schweiz, vorgelegt wurde. Ich möchte an dieser Stelle Georg Christoph Tholen als Hauptbegutachter und Ludger Hovestadt als Zweitbegutachter sehr herzlich für ihre Unterstützung danken wie auch für ihr kritisches Wohlwollen, mit dem sie meine Arbeit begleitet haben. Diese Teile wurden für die vorliegende Publikation nur stilistisch etwas überarbeitet. Sie wurden jedoch mit der Einleitung und der Coda aus rückblickender Perspektive, fünf Jahre später, neu gerahmt.

Gewidmet sei dieses Buch Klaus Wassermann.

Zürich, März 2014

 

Einleitung

»Die Idee der Ordnung durch Fluktuation ist nicht nur eine neue Idee, sie ist die Neuigkeit selbst, ihre Definition.«[3]

Als Sinnbild sowohl für die Vorstellung eines Großen im Ganzen wie auch als Brutstätte von Erzählvermögen in all seinen Ausgestaltungen gilt seit jeher das Städtische. Technik und Kommunikation spielen für die Entstehung des Städtischen eine konstitutive Rolle – insbesondere im Hinblick darauf, dass das Städtische, aus der Perspektive von Kulturtheorie und Geistesgeschichte wie auch aus jener der Naturwissenschaft, gemeinhin als singuläres Phänomen gilt: Seine Herkunft lässt sich weder auf biologische noch auf physikalische Gesetzmäßigkeiten zurückführen, sondern höchstens auf kosmologische oder anthropologische. Und das heißt immer auch auf eine symbolisierende und aus dem Unendlichen des Universums herauszuentziffernde »Gesetzmäßigkeit«. Genau mit diesem singulären Status ist eine »Natur« des Städtischen ebenfalls mit einer »Natur« von Technik, Kunst und Sprache verwandt, Natur im Sinn von »Prinzip der Genese«. Angesichts der Schwierigkeiten – nämlich der Unvergleichlichkeit dieser Phänomene – war ein Nachdenken über das Städtische (wie jenes über Technik, Kunst und Sprache) wohl immer schon mit einer spirituellen Dimension und ihrer Symbolisierung verbunden: Galten die gebauten und eingerichteten Ordnungen des Städtischen, um eine gegenseitige soziale Abhängigkeit am besten zu gliedern, doch seit jeher als hiesiges Abbild einer jenseitigen »Richtigkeit«: etwa im Persischen Reich als Metropolis und Sitz des Kaisers, Mutterstadt der imperialen Kolonien, die Stadt als Stätte des Gesetzes und Wohnort der Götter und ihrer Kinder bei Platon, die kosmische Stadt als Abbild des Universums bei den Stoikern, als Stadt Gottes bei Augustinus, um nur einige wenige Varianten zu nennen, wie die Singularität des Städtischen thematisiert worden ist.

Nun scheint im zunehmend säkularisierten Set-up moderner Nationalstaaten die Tradition, das Städtische in seiner Singularität begreifen zu wollen, gebrochen zu werden. In unserer jüngeren politischen Geschichte, zumindest in der westlichen Welt, gilt die Generalisierung des Städtischen hin zu einer allgemeinen Urbanität – nun im spirituellen Sinn als »unspezifisch« und in dieser Hinsicht als das Generische des Städtischen zu verstehen – gleichermaßen als Legitimationsgrund wie auch als anzustrebendes Ziel dafür, wie ökonomische und politische Ordnungen anhand rein formaler Institutionierung von Macht und Verantwortung verfasst werden sollen. Rein objektiv, also ohne Privilegien, die irgendwie zu rechtfertigen wären über das, was eine Situation der Überlieferung nach als eine singuläre auszeichnet, sondern generell und buchstäblich »apparatartig« formuliert (Rechtsstaat und Bürokratie, Staatsapparat und dessen ausführende Organe) gelten diese Ordnungen nun gerade wegen ihrer reinen Äußerlichkeit und Formalität als gleichzeitig »normal«, »universell« und »natürlich«. Halten wir also fest, dass das Städtische seinen Ausgang nahm als singuläres Phänomen, durch welches sich der Homo sapiens aus der unmittelbaren Abhängigkeit einer übermächtigen und allzu oft als ungastlich erlebten Naturgewalt emanzipieren konnte. Demgegenüber strebt seit der Gründung von Nationalstaaten die relativ junge Tendenz zur Generalisierung des Städtischen gerade entgegengesetzt dazu, das Städtische in seiner Generik als technisch kontrollierbare »Naturgesetzmäßigkeit« zu fassen.

In all diesen Variationen geht es um das Verhältnis des Städtischen zum Gesetzmäßigen. Was aber hat dieser Hintergrund nun mit Medien zu tun oder, noch enger gefasst, mit einem Verständnis von Nachrichten als Medien? In aller vorwegnehmenden Kürze behauptet die These, welche die vorliegende Arbeit zu erörtern und zu verfolgen sucht, dass dieses Generische des Städtischen mit einem Generischen des Medialen ergänzt werden sollte. Damit ließe sich eine symbolisch-formale Kritisierbarkeit ermöglichen, die einen drohenden Kurzschluss von Technik und Natur, Möglichkeit und Notwendigkeit vielleicht aufzubrechen vermag, ohne damit spezifische semantisch-inhaltliche Bestimmungen zu infundieren. Das Merkmal des Städtischen, haben wir gesagt, sei seine Singularität: insofern, als dass seine Genese unvergleichlich mit einem anderen Phänomen scheint und aus keiner unmittelbaren Gesetzmäßigkeit hergeleitet werden kann, ohne dass diese Gesetzmäßigkeit theologisch aufgeladen werden müsste, um als Erklärung zu dienen. Nun, dieses Merkmal lässt sich ebenso sehr der Genese des Medialen anhaften. Tun wir das, sind beide – nicht trotz, sondern in ihrer Singularität – nicht mehr unvergleichlich.

Aber ist, um einen Vergleich zu ziehen, nicht ein drittes oder sogar noch ein viertes Ingredienz erforderlich? Brauchen wir nicht zumindest ein positives Maß, wenn nicht eine elementare Proportionalität? Inwiefern sich diese Frage verneinen lässt, darum geht es bei einem philosophischen Begriff des Differentials, um den sich ein Großteil des folgenden Textes dreht.

Die Vorstellung, die wir zu entwickeln suchen, besteht in folgenden Postulaten: 1. Es gibt eine Objektivität von Nachrichten. 2. Dieser Objektivität kommt ein Sein zu, das in den Artefakten insistiert und von jedem, der es in seiner Objektivität zu adressieren sucht, nicht nur etwas gibt sondern auch etwas will. Was diese Objektivität von uns will, darüber können wir nur rätseln. 3. Die Objektivität von Nachrichten waltet in den Artefakten als das Sein von Neuigkeit und sie lässt sich, so wollen wir vorschlagen, in Analogie zur Objektivität von Energie formulieren, die in der Elektrizität waltet. Es lässt sich genauso wenig ein repräsentatives Bild von ihr zeichnen, wie dies hinsichtlich von Energie möglich ist: Man kann die Objektivität von Nachrichten weder über das Postulat einer Treue zu der darin verfassten Botschaft erwägen, noch kann man sie über die formale Integrität ihrer Vermittlung ermessen. Aber man kann sie erhalten, so wie sich Energie erhalten lässt: in Sätzen, welche ein universelles Entsprechen ausdrücken.

Aber müsste die eigentlich (medien-)philosophische Frage nicht darauf gerichtet sein, was diese Objektivität von Nachrichten will? Davon wollen wir ausgehen und zugleich nahelegen, dass die »erschliessende Entzifferung« von diesem Etwas uns als die fortlaufende Genese des Städtischen gelten kann.

Zugegeben: Der Sprung, der nötig ist, um die Singularität des Medialen auf die Singularität des Städtischen zu beziehen und umgekehrt, ist ein riskanter. Aber es scheint ein lohnender Sprung zu sein, verspricht er doch das reziproke Bestimmungsverhältnis als ein prinzipiell offenes, und nicht nur, um in kombinatorischem Zahlenreichtum »faktisch Unendliches« zu denken. Allegorisch gesprochen bedeutet dies, dass Modernität nicht nur ist, sondern ist in dem sie lernt sich selbst zu sein. Wenn dieser Sprung gelingen könnte, so erlaubt er beiden Begriffen, jenem eines Generisch-Städtischen und jenem eines Generisch-Medialen, differentialphilosophisch als unbestimmt jedoch bestimmbar gefasst zu werden, um so die jeweilige Singularität, die sie verkörpern, aneinander zu entwickeln. Lassen Sie uns in aller Kürze darlegen, vor welchen Hintergrundüberlegungen dieser Sprung hier gewagt wird.

Seit McLuhans berühmtem Votum, dass Medien nicht lediglich als neutraler Mittler von Botschaften zu begreifen seien, sondern vielmehr jeweils selbst die Botschaft sind, wird Medialität in den Kulturwissenschaften und in der Medientheorie im Zusammenhang mit Maßstäblichkeit thematisiert. Wie McLuhan sich ausdrückte: »Die Botschaft jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabes, Tempus oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.«[4] Kommunikation, so legte er nahe, bringe also »der Situation des Menschen« etwas hinzu. Nun treten mit dieser von ihm postulierten Eigentlichkeit der Medien diese aber in einen gewissen Widerspruch zu dem Städtischen in seiner generischen, als Regelkreis und Apparat gedachten dynamischen Form. Das Nachspüren dieses Widerspruchs wie auch der Möglichkeiten, wie die aktuellen medientheoretischen Positionen diesen aufzulösen oder zu überwinden versuchen, hat – in aller kritischen Offenheit – das Vorhaben in dieser Arbeit angeregt.

Wie also ließe sich dieser Widerspruch in eine mögliche Formulierung bringen? Dafür muss zuerst etwas ausgeholt werden. Eine moderne, im Sinne einer »apparatartigen« Ordnung schöpft ihre eigene Veränderbarkeit auf immanente Weise aus der Dynamik ihrer eigenen Glieder und Organe. Sie begreift die Einrichtung einer generischen Urbanität (als Vorstellung eines spirituell unspezifischen Städtischen) gleichermaßen als Begründungs- und Referenzebene wie auch, im Bestreben nach säkularisierender Expansion, als ihr eigentliches Verwirklichungsziel. Nun kann in einer solchen sich immanent speisenden, dynamischen Ordnung im eigentlichen Sinn nichts hinzukommen, sondern es kann nur umverteilt und in neue Konstellationen gebracht werden. Um diese Geschlossenheit aufzubrechen, argumentiert Serres: »Die Idee der Ordnung durch Fluktuation ist nicht nur eine neue Idee, sie ist die Neuigkeit selbst, ihre Definition.«[5] Der Erläuterung, wie dies möglich scheint, dient diese Einleitung. Wir werden mehrfach und aus verschiedenen Richtungen auf Serres’ Formulierung zurückkommen.

Nun ist das Sprachspiel um Neuigkeit bekanntermaßen in eschatologischen Diskursen verortet und lebt dort davon, dass die Chiffre »Neuigkeit« sich genau nicht definieren lässt. In der Idee einer Ordnung durch Fluktuation sieht Serres denn auch nicht eine inhaltliche Charakterisierung oder Bezeichnung von Neuigkeit, sondern ihr eigentliches »Sein« als körperlich gewordene »Chiffre«. Eine moderne Ordnung als eine, die per Definitionem immer nur gerade jetzt, also buchstäblich immer »modern« ist, und in gleicher Form nie Bestand haben soll, gilt Serres als säkularisiert-symbolische Fassung von »Neuigkeit«, sofern sie buchstäblich nichts repräsentiert außer sich selbst – und dies nicht in referenzieller Weise, sondern in einer nur der abstrakten Symbolizität der Chiffre eigenen, weil sich selbst erzeugenden »Unmittelbarkeit«: nämlich operativ im Sinn von indefinit und maßgebend. In einer solchermaßen modernen Ordnung, als säkularisierte Form des Städtischen, darf kein ständisches Sein mehr eine Rolle spielen, sondern alle Gliederungen müssen im Fluss sein und sich in und durch die Fluktuationen ihrer Gerinnungen selbstständig an die erfolgten Veränderungen anpassen. So scheint in aller Konsequenz das Politische – als so etwas wie der formale Zustand von Neuigkeit (oder besser: seine formale Zuständigkeit) – von jeglicher mit einem Heilsversprechen verbundenen Semantik befreit, und zwar genau aufgrund des Anspruchs, die Form dieses Versprechens in generischer Unverfälschtheit zu sein. Die Ordnung des Politischen muss sich nirgendwo anders, als im formalen Körper dieses Poltischen selbst, in dessen Kapazität und Können, verantworten und autorisieren. »Neuigkeit« wird damit zu einem öffentlichen politisch-ökonomischen Gut und stellt sich jedem theologischen Missbrauch zum Handel um das individuelle Seelenheil entgegen. Anders formuliert: Nur indem »Neuigkeiten« ihre Referenz auf ein individuelles Seelenheil im Jenseits verlieren, lässt sich mit ihnen das Versprechen auf eine allgemeine Erlösung im Diesseits gewinnen.

Worin besteht aber nun der Wiederspruch von McLuhans Medienbegriff zu solchen Vorstellungen? Er ergibt sich (oder er ergibt sich nicht), je nachdem, wie man diesen Status einer Ordnung begreift, die nichts anderes repräsentiert als sich selbst. Wir haben vorgeschlagen, sie in dieser Eigenart als Chiffre zu sehen: Die Chiffre gilt als symbolischer Nullpunkt und Leere, das heißt, sie bietet einen neutralen Platz für jegliche Bestimmung. Aber was bedeutet das? Heißt das zum Beispiel, dass erstens diese Neutralität ohne jegliche symbolische Determination ist, weil rein formal, oder dass zweitens sie auf jegliche Weise symbolisch determinierbar ist, weil (noch) nicht formal? Bedenken wir, dass eine Form schlichtweg als Inbegriff von Regelmäßigkeit gelten muss, so lässt sich dieser Status einer Chiffre entweder als das unverfälscht Regelmäßige bestimmen (und zwar approximativ-positiv oder differenztheoretisch via negativa) oder, prinzipiell mit gleichem Recht, als das schlichtweg Disparse (Ausbleiben von jeglicher Regelmäßigkeit).

Vor diesem Hintergrund nun zurück zu McLuhan und seiner Auffassung, dass die Botschaften, die über Medien in der Zirkulation gehalten werden, in den Formaten bestehen, welche die Medien verkörpern und nicht in den Inhalten zu suchen seien, die sie gemäß unterschiedlicher Notationssysteme verschlüsseln und in verschlüsselter Form in Umlauf halten. Genau Letzteres aber wäre ihre legitime Rolle in einer politischen Ordnung, die sich allein aus ihren immanenten Fluktuationen ergibt: Medien müssten darin transparent, neutral und rein formal sein. Selbstverständlich sieht McLuhan, dass Medien tatsächlich »Botschaften« in jenem Sinn von Transport und Transkription von Sinngehalt überbringen. Doch um sie kann es für die Perspektive einer Theorie von Medien in ihrer Allgemeinheit ihm zufolge nicht gehen. Vielmehr gelte es, darauf zu achten, dass Medien ihre eigentlichen Botschaften verkörpern und sich somit direkt als »Veränderungen des Maßstabes, Tempus oder Schemas« in die Ordnungen einbringen, in denen sie die Zirkulation von immanent-erzeugten Inhalten gewährleisten.[6] Medien fügen in der ihnen eigentlich enthaltenen Botschaft »der menschlichen Situation« etwas hinzu, und zwar das Modulieren im Umgang mit Maßgabe. Zugespitzt formuliert heißt das: Medien verkörpern formatierbar gewordene Maßstäblichkeit. So wird McLuhan allgemein von den Medienwissenschaftlern das Verdienst zugesprochen, eine Wissenschaft der Medien von »äußerlichen Zuschreibung inhaltlicher oder instrumenteller Aspekte befreit zu haben, um so nämlich erst die historisch singuläre Zäsur der technischen Medien angeben zu können, dank derer diese die ›Form des gesellschaftlichen Lebens‹ steuern«.[7]

 

Von dieser Zuschreibung wird die als autochthon postulierte Genese einer modernen politischen Ordnung nicht selbst infrage gestellt. Es wird lediglich den Medien eine steuernde Rolle der Lebensformen in einer solchen Ordnung zugestanden und überantwortet. Daher ist diese Entscheidung hinsichtlich des Status einer Chiffre, respektive einer Neutralität, für die sie steht, entscheidend. Gilt eine Chiffre als reine Regelmäßigkeit, als reine Formalität ohne Symbolisierungsgehalt, so loten Medien, indem sie Maßstäblichkeit nicht abstrakt-formal, sondern konkret-unmittelbar verkörpern, so etwas wie die »Unbestimmtheitsdimensionen« beim Entziffern der Chiffre aus. Dabei kann diese reine Regelmäßigkeit gemäß der Chiffrendeutung sowohl positiv als auch negativ konzipiert sein – als reine Regelmäßigkeit, die nur partiell, im Negativen, gegeben ist (etwa bei Jacques Derrida). Oder sie ist als eine gegeben, die sich fortschreitend und zunehmend entziffern und in ihrer Unverfälschtheit offenlegen lässt (etwa bei Rudolf Carnap). Letzterem entsprechend operieren Medien dann für bewusstseinsstiftende Kommunikation als öffentliche Reflexionsorgane. In schematischen Grundzügen ist damit wohl in etwa jene Vorstellung artikuliert, wie sie sich aufgeklärte Menschen von gewöhnlichen Medien machen: Der Konflikt mit der autochthonen Verfassung moderner Ordnungslogik ist hier kein systemischer, er stellt sich höchstens über individuelle Eigeninteressen (Missbrauch) ein. Doch McLuhans Kriterium zur Bestimmung von Medien im Allgemeinen fällt bei diesem Verständnis von Medien unter den Tisch: Die Modulierbarkeit von Maßgabe, welche Medien nach McLuhan verkörpern und der Situation der Menschen hinzubringen, ist hier nichts den Medien eigentliches, sondern lediglich äußerliche Zuschreibung inhaltlicher oder instrumenteller Aspekte. Wie verhält es sich mit der Deutung von Chiffren als reine und formale Regelmäßigkeit, die nur spurenhaft und negativ gegeben sein soll? Hier ergibt sich ein systemischer Konflikt insofern, als dass die Eigentlichkeit der Medien, Maßstab zu verkörpern, mit der Eigentlichkeit des Objektiven, maßgeblich zu sein, in ein kompetitives Verhältnis gerät: Dem, was als objektiv gilt, kommt eine Art kollektiv-legitimierter Subjektivität zu. Genau mit diesem subjektiven Charakter aber fordern Medien nun den rein formalen Status einer modernen Ordnung, die ihre Gestalt immer nur im Jetzt finden und in der es nichts Beständiges geben soll, unweigerlich heraus: Wenn die moderne Ordnung als rein formaler Zustand von Neuigkeit begriffen wird, wenn sie beansprucht, die Form des heilbringenden Versprechens in dessen generischer Unverfälschtheit zu sein, so impliziert dies, dass Neuigkeiten nur erscheinen mögen, ohne dass ihnen selbst ein Sein zugesprochen werden dürfte: Etwas Neues darf es nur scheinbar geben, wenn die Form von Neuigkeit selbst unverfälscht bleiben soll: Das ganze Spannungsfeld zwischen Phänomen und Ding, Fiktion und Realität, Illusion und Ideologie ergibt sich daraus und kann gewissermaßen als Motor von moderner Ordnung selbst begriffen werden – als das, was sie in ihrer »apparatartigen« Form fortwährend antreibt und in Bewegung hält. Jedoch muss die Frage, wie eine solche »Formatierung« überhaupt entsteht, aus dieser Perspektive ausgeklammert bleiben.

In ihrer die Lebensformen steuernden Rolle fordern Medien also entweder den Glauben an das moderne Selbstverständnis heraus, falls die Konflikte auf missbräuchliche Eigeninteressen der Menschen zurückgeführt werden. Oder aber sie fordern die Logik dieses Selbstverständnisses heraus, indem die Bedingtheit einer modernen Ordnung (also die Formatierbarkeit, welche Medien verkörpern) nicht selbst befragt werden kann. In dieser Herausforderung der Logik solcher Ordnungsvorstellung kann man einen animierenden Motor von Modernität sehen. McLuhans Thematisieren der Formatierung von Lebensformen durch »Maßstab, Tempus oder Schema« betrifft dann die Logik des Diskurses über Regelmäßigkeit und Ordnung (Kosmos), nicht die Logik von Regelmäßigkeit und Ordnung selbst. Dieses Thema nun aber lediglich reflexiv zu wenden, in Gestalt eines nie zur Rast kommenden diskursiven Korrektivs, kann die Mechanismen dieses Korrektivs (die medial artikulierten »Maße« in Gestalt von »Formaten«) nicht selbst zum Objekt kritischer Betrachtung machen, weil sich diese Reflexivität der gleichen Mechanismen bedienen muss, um sich auszudrücken. Erich Hörl hat in seiner Studie Die heiligen Kanäle. Über die archaische Illusion der Kommunikation (2005) das Thema der Symbole, welche in der Reflexivität und Entschlüsselbarkeit von Medienformaten tatsächlich am Werk sind, erneut in seiner zentralen Bedeutung für die Medientheorie offengelegt. Im autochthonen Selbstverständnis diskursiver Ordnungen entlarvt er eine heute noch weitgehend unbedachte, jedoch breit wirksame Tendenz, in welcher die ehemals als magisch apostrophierten Kanäle der Kommunikation (von denen noch McLuhan spricht[8]) über die Nichtthematisierung dieses Magieaspekts deswegen noch lange nicht ihren Status als heilige Kanäle abgelegt hätten. Dies sei erst der Fall, so Hörl, wenn wir uns selbst nicht mehr als Teil einer »alphabetischen Kultur« begreifen, sondern als den einer »elektro-magnetischen Kultur«.[9] Die Hauptachsen seines Arguments zeichnen die symbolische Verfassung der eigentlichen Technik der Kommunikationsmedien nach und halten daran fest, dass diese Symbole, welche Elektrizität und Informationstechnik ermöglichen, weder alphabetischer noch nomenklatorischer, sondern mathematischer und physikalischer Natur sind. Während aber für die objektive (säkulare) Wissenschaft die Physik als transzendente Referenz für das Mathematische galt, so hat sich dieses Verhältnis für die Physik des Elektromagnetismus verkehrt: Für die Quantenphysik ist das Mathematische transzendente Referenz geworden. Vor diesem Hintergrund gerät durch die neue Unmittelbarkeit zwischen Mathematik und Physik das Thema der Spiritualität erneut ins Innere einer als autochthon apostrophierten, selbst bewegten und selbst erzeugenden Ordnungslogik – wenn auch nun explizit wissenschaftlich gewendet als Intellektualität. Denn von solchem Charakter, selbst bewegt eine Logik zu erzeugen, welche die mit dieser Logik erzeugte Ordnung immer wieder zu rahmen vermag, kann nur dasjenige sein, was mit dem Unendlichen verbunden ist: das Göttliche und das Mathematische. Wenn sich ein diskursives Korrektiv jedoch mit einem der beiden auf privilegierte Weise verbunden glaubt, kommt in das Zwischenspiel zwischen Maßgabe (der Chiffre) und dynamischer Modulierung von Maßstab (der Medien) der Aspekt der Anmaßung. Ein diskursives Korrektiv versteht sich selbst neutral und lediglich als animierender Motor für eine Ordnung, die rein aus dynamischer und dieser Ordnung immanenter Fluktuation hervorgeht; doch gerade in diesem Selbstverständnis gerät es über den in seiner postulierten Neutralität anmaßenden Charakter der von ihm vertretenen Intellektualität in einen korrumpierenden Widerspruch zu Modernität als Ordnung, die immer nur sich selbst ist. Anders formuliert: Eine Ordnung durch Fluktuation ist nur insofern zu kontrollieren, als dass die Autorität hinter dieser Kontrolle einen bestimmten aktuellen Status quo des Mathematischen zur transzendenten, symbolischen Ordnung erhöht und diese als »neutral« deklariert. Damit jedoch kannibalisiert eine solche symbolische Ordnung notwendigerweise die Generik der politischen Ordnung: Im Sein der Neuigkeit wird nichts Neues mehr zugelassen.

Damit sind wir bei der zweiten Weise, wie sich der Status einer Chiffre, in der Neutralität des Nullpunkts und der Leere, die sie markiert, begreifen lässt: nicht als reine Form (Regelmäßigkeit) ohne Symbolgehalt, sondern als jeglicher Symbolgehalt ohne Form. Die operativen Symbole der Algebra zeigen diesen Charakter, sie können für jeglichen Gehalt stehen und werden in ihrer Form erst mit dem Ausarbeiten der Lösbarkeit einer Gleichung (oder eines Gleichungssystems) bestimmt. Solche »Form« jedoch kann nie wie eine geometrische Form als elementar und unmittelbar gelten, sondern ist immer symbolisch verfasst. Während es bei der Perspektive der reinen Form Neuigkeit nicht geben darf, um den Erscheinungen der reinen – buchstäblich also unendlich mächtigen – Regelmäßigkeit in differierender Weise Ausdruck geben zu können, so verhält es sich bei der Perspektive, die davon ausgeht, dass dem Symbolischen in seiner Diskretheit jede Form fehlt, gerade umgekehrt: Neuigkeit erscheint nicht, sondern ist, und zwar, weil nur die formlose Diskretheit des Symbolischen eine »Definition« von Neuigkeit ausdrücken kann, die ihren Gehalt nicht inhaltlich determinieren würde. So wollen wir die Formulierung von Serres verstehen: »Die Idee der Ordnung durch Fluktuation ist nicht nur eine neue Idee, sie ist die Neuigkeit selbst, ihre Definition.«[10] Auch diese Perspektive hält am Attribut »unendlich mächtig« fest, ansonsten könnte einer Ordnung, die immer nur sich selbst ist, weder die Möglichkeit zu lernen noch eine Entwicklung des Wissensmöglichen eingeräumt werden. Aber dieses Attribut wird nicht einer ideellen Regelmäßigkeit zugeschrieben, sondern den Weisen, wie sich aus der Diskretheit des Symbolischen regelmäßige Kontinuitäten (also objektive Formen) identifizieren lassen. Form wird hier zu einer Verträglichkeit in einer Art verteilter Elementarität, die wir das Disparse nennen: Jeglicher symbolisch markierbare Punkt, der in einer Form mit anderen Punkten verbunden werden, also in eine Linie gebracht und als Kontinuität herausgestellt werden soll, ließe sich im Prinzip mit jeglichem anderen symbolisch markierbaren Punkt verbinden.

Die Vorstellung, welche die vorliegende Arbeit zu erörtern und zu verfolgen sucht, begreift mit Serres die Moderne als Sein von Neuigkeit und mit McLuhan die Medien als diejenigen Elemente, welche die Lebensformen in einer Ordnung, die immer nur sich selbst ist, zu steuern vermögen. Damit drängen sich erneut die inhaltlichen und instrumentellen Aspekte von den Botschaften der Medien in den Vordergrund. Mc Luhans Botschaften, als verkörpertes Modul zum Artikulieren von Maßgabe, so mein Vorschlag, wären besser als Nachrichten zu begreifen – als jene Nachrichten nämlich, welche in der Lage sind, das Sein der Neuheit (die moderne Gestalt des Städtischen) skandierend gleichermaßen nach zu richten wie vor zu prägen. McLuhans mediales Wirken der Botschaft – es führt zu Änderungen im Maßstab – artikuliert sich nämlich in den instrumentellen und inhaltlichen Aspekten von Medien, und zwar symbolisch: in einem Sinn, den wir vom Umgang mit Symbolen in der Mathematik kennen.

Ein Gefühl für diese Mathematizität des Symbolischen können wir aus Michel Foucaults Formulierungen gewinnen: »Wir sind«, so schreibt er, »in einem Moment, wo sich die Welt weniger als ein großes sich durch die Zeit entwickelndes Leben erfährt, sondern eher als ein Netz, das seine Punkte verknüpft und sein Gewirr durchkreuzt.«[11] Damit seien wir »in der Epoche des Simultanen«, wir seien »in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander«.[12] Wenn wir die moderne, generisch-allgemeine Gestalt des Städtischen in ihrer mathematischen Disparsität begreifen, stellen diese Charakterisierungen weder eine Absurdität noch eine Illusion dar. Die Realität der verschiedenen technischen Infrastrukturen zur Zirkulation von Jeglichem, welche Foucault hier beschreibt, verdanken ihre manifeste Form allesamt der Mathematik, speziell der algebraisch-logistischen Verfasstheit der topologischen Struktur jener logistischen Netze. Anstatt eine Absurdität im Thema einer realen Simultanität herauszustellen, käme somit eine Absurdität in den Blick, welche die Vorstellung von einem Regelkreis selbst betrifft. Genauer formuliert bedeutet das: die Vorstellung, den Kreis – als Symbol für das Unendliche und Allumfängliche – über eine als generisch spezifizierte und ihm attestierte ideelle Regelmäßigkeit zu begreifen. Das Rationalisieren des Kreisumfangs (seine Quadrierung) hat eine ebenso lange Tradition wie das Vermessen seiner Fläche als Inhalt (seine Triangulierung), in welcher die Irrationalität des Messens offen zugestanden wird. Gleichwohl ist klar, dass die Genese der Mathematik in ihrer stets zunehmenden Mächtigkeit dank Abstraktion sich und ihre Fortschritte seit jeher dem Verfolgen genau dieser beiden Unmöglichkeiten verdankt. Das Postulat also, in einem Regelkreis wären Rationalität wie Irrationalität, Rechnen wie Messen gleichermaßen aufgehoben und zur Ruhe gekommen, heißt nichts weniger, als dass jene beiden für das Lernen doch so unendlich produktiven Unmöglichkeiten (Quadrierung des Kreisumfangs und Triangulierung der Kreisfläche) nicht mehr weiterverfolgt werden sollen. Damit wird das Lernbarmögliche zugunsten eines Status quo auf arbiträre Weise beschränkt. So betrachtet wird verständlich, warum wir, gerade um realistisch zu bleiben, die mathematischen Symbole auf eine kritische Distanz halten sollten.

Kommen wir also auf die einleitenden Gedanken zur Geschichte der Genese des Städtischen zurück und wenden unseren Blick – trotz der enormen Herausforderung – nicht sogleich ab vom autochthonen Selbstbegründungsanspruch moderner politischer Ordnungen, sondern setzen hypothetisch und dem dargelegten Gedankengang folgend die Mathematizität als das symbolische Sein von Modernität. Folgen wir ferner Serres darin, Modernität über ihren Anspruch an Ordnung durch Fluktuation als Sein von Neuigkeit zu charakterisieren, indem die Medien die Fluktuation moderieren, einrahmen und maßregeln. Was bei McLuhan ein Wirken der Botschaft war, wird somit zu einem Wirken der Medien, welches sich im Sein von Neuigkeit entfaltet und dieses in dessen Ausdruck als Nachrichten skandierend erdenkt und formuliert. So betrachtet haben Nachrichten in generisch-selbstbezüglicher Weise am Sein von Neuigkeit teil und können als Schema und Ausdrucksform des stetigen Sich-selbst-Werdens moderner Ordnung gelten.

Die Vorstellung also, von der diese Arbeit geleitet ist, betrifft die Möglichkeit einer Experimentalwissenschaft im Abstrakten. Sie folgt damit bis zu einem gewissen Grad den Vorstellungen einer materialistisch, respektive archäologisch ausgerichteten Medientheorie. Jedoch ist die Haltung der Autorin bestrebt, die in solcher Materialität oder Monumentalität gegebene Positivität nicht auf eine Natur von [diskursiver] Geschichtlichkeit zu beziehen, die es in Archivarbeit zu dokumentieren und [als Bestand] zu sichern gilt, sondern auf eine Natur von Intellektualität, die es als städtische Architektonik [preisend und immer wieder neu ermessend] zu charakterisieren gilt. Die Charakterisierung einer solchen Architektonik gäbe uns die symbolisch-algebraische Alphabetizität, in der sich das Städtische in seiner Allgemeinheit artikulieren lässt – generisch [und in diesem Sinn modern] und dennoch an der Singularität ihrer Natur festhaltend.

Im Zentrum einer solchen Architektonik stünde eine Theorie des Virtuellen, die jedoch bisher noch kaum anders denn als allgemeines Desiderat hat Gestalt annehmen können. Die Herausforderung einer solchen Theorie besteht darin, das Verhältnis zwischen den Kulturtechniken der Formalisierung und der Interpretation – oder anders gesagt: zwischen Rechnen und Schreiben – neu zu fassen. Ihr Erfolg hängt davon ab, einen Weg zu finden, die Universalität der algebraischen Symbole weder in der infiniten Mechanik des Arithmetischen aufzulösen, noch sie den Kategorien einer geometrisch oder begrifflich vermessenen Kosmologie unterzuordnen. Im Konzept des Virtuellen trifft, pointiert und in aller Kürze formuliert, das spirituelle oder theologische Problem der Unendlichkeit auf das Problem der zeichentheoretischen Referenz. Weit davon entfernt, die Perspektive einer medialen Architektonik irgendwie schlüssig, zwingend oder nur konsistent genug formulieren zu wollen, war es lediglich das Ziel der vorliegenden Arbeit, bestehende abstrakte Einstellungen zusammenzutragen, welche sich anbieten, als Herkunftslinien und Topoi einer medialen Architektonik charakterisiert und aufgegriffen sowie gegeneinander oder miteinander profiliert zu werden. Insgesamt vermögen diese gebündelten Linien, so die Hoffnung, das Risiko des eingangs erwähnten Sprungs – nämlich die Medienrealität im 21. Jahrhundert nicht primär auf epistemologische, rein historische und ästhetische oder direkt praktisch-politische Referenzebenen hin in den Blick zu nehmen, sondern sie in der Genese des Städtischen selbst zu ergründen – etwas zu entmystifizieren. Damit soll die tragende Rolle des Vorstellungsvermögens und der Wendigkeit im exakten Denken für eine städtische Architektonik plausibilisiert werden, um damit ihrer weiteren Entwicklung den nötigen Zuspruch wie auch die ebenso nötige ernsthafte Kritik zu sichern

Nachdem damit der allgemein thematische Horizont der vorliegenden Arbeit aufgespannt ist, sollen zwei Positionen aktueller Theoriebildung herausgestellt werden, welche für dieses Buch in besonderem Maße relevant sind: Foucaults archäologische Methode zu einer analytischen Geschichtswissenschaft unter dem Primat von unsteten und immer impliziten Machtdispositiven, aus denen heraus sich Dokumente in ihrem historischen Gehalt erschließen müssen, und Deleuzes Bestreben, das Erbe der Philosophiegeschichte, welches Alfred North Whitehead provokanterweise als »Sammlung von Fußnoten zu Platon«[13] charakterisiert hatte, um einen Atomismus der Einbildungskraft zu bereichern.

Als Ausgangspunkt gilt Foucault, so formuliert er in seiner Einleitung zu Archäologie des Wissens, dass sich die Vorstellung einer linearen Abfolge von Geschehnissen heute in ein »Spiel von in die Tiefe gehenden Loshakungen«[14] aufgelöst habe. Die Ebenen der Analyse hätten sich vervielfacht, »jede hat ihre spezifischen Brüche, jede umfaßt einen nur ihr gehörigen Ausschnitt«.[15] Foucault zufolge handelt es sich bei den »Gegenständen« einer solchen Analytik, unter der Annahme eines ins Viele verteilten historischen Apriori, um »architektonische Einheiten«,[16] die nicht über eine Beschreibung objektivierbarer Einflüsse, der Traditionen, der kulturellen Kontinuitäten auszumachen seien. Historikern stünden mittlerweile neue Instrumente für ihre Analysen zur Verfügung, die ihnen Anschlüsse an das Paradigma empirischer Statistik ermöglichten: »Modelle wirtschaftlichen Wachstums, Mengenanalysen des Warenflusses, Kurven über die Zunahmen und den Rückgang der Bevölkerungsziffer, Untersuchungen des Klimas und seiner Schwankungen, Ermittlungen soziologischer Konstanten, Beschreibungen technischer Anpassungen, ihrer Verbreitung und ihrer Beständigkeit.«[17] Nach Foucaults Methodik hat man es nicht mehr mit »Dokumenten« zu tun, die etwas Geschehenes »belegen«, sondern mit »Monumenten«, die etwas Geschehenes als Geschehendes konstituieren. Die Begriffe Wachstum, Fluss, Zunahme und Schwankung verweisen direkt auf die Änderung in der Zeit. Der hauptsächliche Unterschied dieser sprachlichen Neuerung (Dokumente als Monumente zu begreifen) besteht darin, dass sich die foucaultschen Monumente immer nur aus einer diesen Denkgebäuden immanenten Perspektive beschreiben lassen. »Man könnte, wenn man etwas mit den Worten spielte, sagen, daß die Geschichte heutzutage zur Archäologie tendiert – zur immanenten Beschreibung von Monumenten.«[18] Eben diese nicht hintergehbare Innenperspektive der historischen Analyse ließ ihn seine Methodik am Modell des mathematisch-naturwissenschaftlichen Differentierens und Integrierens entwickeln. Ausschlaggebend für die Adäquatheit einer Beschreibung ist somit, dem Vorgehen wissenschaftlicher Experimente analog, die Stabilität der empirisch entdeckten »internen Kohärenzen, die sich aus den postulierten Axiomen, den daraus ableitbaren deduktiven Ketten«[19], und den so erschließbaren Kompatibilitäten der »messbaren« Partikularien ergibt. Diese Partikularien gelten Foucault als »architektonische Einheiten«, und er nennt sie architektonisch, weil für ihre Analyse, wie er sagt, weder objektive Referenz noch subjektiv »das Gefühl oder die Sensibilität einer Epoche, nicht die ›Gruppen‹, ›Schulen«, ›Generationen‹, oder ›Bewegungen‹, nicht die Gestalt des Autors im Spiel des Austausches, das sein Leben und seine ›Schöpfung‹ verknüpft hat, sondern die einem Werk, einem Buch, einem Text eigene Struktur als Einheit nimmt«.[20] Das Problem betreffe nicht mehr die Tradition und Spur, so fährt er fort, sondern den Ausschnitt und die Grenze: »Es ist nicht mehr das Problem der sich perpetuierenden Grundlage, sondern das der Transformationen, die als Fundierung und Erneuerung der Fundierungen gelten.«[21] Foucault beginnt damit, Historizität in der Form moderner Ordnung, die wir als Sein von Neuigkeit charakterisiert haben, zu erörtern. Deshalb möchten wir vorschlagen, in seinen architektonischen Einheiten das Wirken der Medien aufzuspüren, indem wir diesen Einheiten den Status von Nachrichten zuschreiben. Das ist bei Foucault so nicht explizit angelegt, aber es scheint trotzdem seinem eigenen Verständnis recht nahezuliegen – charakterisiert er doch das Feld von Fragen, welches es durch seine archäologische Analyse architektonischer Einheiten eröffnet, in deutlich formatorientierter, medientheoretischer Sprache: »Wie soll man die verschiedenen Begriffe spezifizieren, die das Denken der Diskontinuität gestatten (Schwelle, Bruch, Einschnitt, Wechsel, Transformation)? Nach welchen Kriterien soll man die Einheiten isolieren, mit denen man es zu tun hat: Was ist eine Wissenschaft? Was ist ein Werk? Was ist eine Theorie? Was ist ein Begriff? Was ist ein Text? Wie soll man Abwechslung in die Niveaus bringen, auf die man sich stellen kann und von denen jedes seine Skansionen und seine Form der Analyse besitzt: Welches ist das angemessene Niveau der Formalisierung? Welches das der Interpretation? Welches das der strukturalen Analyse? Welches das der Kausalitätsbestimmung?«[22] Foucault selbst hat die Stimme, der in solcher Analytik zugehört wird, als die unpersönliche Stimme eines »Murmelns der Diskurse«[23] bestimmt. Wir wollen vorschlagen, in dieser Stimme nicht den kontinuierlichen Hintergrund eines anonymen Murmelns zu vernehmen, sondern das beständige und überbordende Nachrichten einer Vielzahl von singulären Stimmen [die alle diskret vernehmbar sind und], welche alle zusammen in ihren je diskreten Weisen den Quantenstatus einer generischen Stimme ausdrücken, [In einer Anonymität des Diskurses vermag sich die moderne Allgemeinheit von Ordnung nicht selbst zu autorisieren, und ihr Selbstverständnis als authochthone Verfassung bleibt blosses Wunschdenken, eine geteilte Illusion. Nähert man sich diesem Murmeln aber mit diskretisierender Geste, und erachtet es als das zusammen klingende Verlauten vieler singulärer Stimmen welche den Quantenstatus   in der sich die moderne Allgemeinheit von Ordnung als das Sein von Neuigkeit fortlaufend selbst autorisiert. Diese generische Stimme drückt sich in mathematischen Ordnungen aus, in denen sich das Sein von Neuigkeit in Nachrichten vermittelt: in der Technizität der Kommunikationskanäle und in medialen Formaten ebenso wie in den Gestaltungen jeglicher Artefakte.

Damit kommen wir zur einleitenden Darstellung der zweiten theoretischen Position, welche für die vorliegende Arbeit als wegweisend gelten muss: jene von Gilles Deleuze. Dieser hat mit seinem Atomismus der Einbildungskraft auf einen philosophischen Idealismus von Problemen hingearbeitet, welcher es erlaubt, wie hier ausgeführt werden soll, Historizität als Virtualisierung von Dialektik zu begreifen. Darin sehen wir erste Hinweise, wie sich die Modalität dieses Seins, des Seins von Neuigkeit, begreifen ließe. Deleuze postuliert ein Element des Ideellen, welches er das »Problematische« oder auch das »Informelle« nennt. Um dieses Element zu denken, so schlägt er vor, gelte es, die Figur des Wiederspruchs mit jener des mathematischen Differenzials zu prozeduralisieren.[24] Deleuze verabschiedet sich damit von der Vorstellung, dass sich eine Realität des Historischen unmittelbar erschließen ließe; für ihn lässt sich diese Realität in ihrer Objektivität nur auf einer Bühne des abstrakten Denkens begreifen. Deleuze bindet seinen Begriff von Realität damit an einen eminent praktischen Begriff davon, was es heißt, denkend zu sein: Es geht bei der Vorstellung von Realität nicht darum, ob sie richtig oder falsch, adäquat oder inadäquat repräsentiert sei, sondern wie reduziert oder reichhaltig an Differenziertheit sie sind. Dabei geht es nicht darum, Realität subjektiv als immer schon relativ zu begreifen, sondern als unterschiedlich gesättigt an generischer Objektivität. In der Konsequenz eines solchen praktischen Begriffs von Denken schlägt Deleuze eine Neubesetzung der Rollen in der Dramaturgie von Historizität vor: Differenz soll nicht in erster Linie das epistemologische Primat von logischer Identität brechen. Vielmehr soll sie die das Denken bannende Vorstellung einer Realität des Negativen, welche jedes Vorhaben beherrscht, mit dem Primat logischer Identität zu brechen, entmachten. Differenz soll dem logischen Denken eine Virtualität des Reellen erschließen, die in ihrer symbolisch-mathematischen Natur als gleichermaßen unbestimmt wie bestimmbar zu gelten hat. Konkret schlägt Deleuze vor, wie später genauer ausgeführt werden wird, das nicht-A zu ersetzen durch die algebraische Formulierung des dx als symbolische Form eines Verhältnisses, welches von den Termen, in denen es sich konkret instanziiert, herausgelöst betrachtet werden kann. Das Anliegen von Deleuzes Philosophie ist deutlich verwandt mit jenem Foucaults, nämlich die Genese von Struktur verstehen zu lernen. Dafür, so legen beide nahe, muss das Verhältnis von Formalisierung und Interpretation reziprok gedacht werden, in der das eine das andere immer wieder zu neuer Mächtigkeit erhebt. Deleuze hat als vermittelndes Element in dieser Dynamik einen Atomismus der Einbildungskraft angenommen: Das Atom gilt ihm nicht als kleinster gemeinsamer Nenner, in dessen Element sich alles universell und völlig ohne Angleichung oder sonstiges Zutun entsprechen würde. Vielmehr sei das Atom »dasjenige, was nur gedacht werden kann«.[25] Das Atom als Referenz für Ähnlichkeit lässt sich in seiner Struktur nicht bloßlegen, sondern muss im Denken selbst erzeugt werden. Darin aber ist es nicht weniger reell: Für Deleuze gibt es eine Natur des Denkens, die ebenso schöpferisch ist wie die physikalische Natur und die ebenso wie diese Gegenstand von mathematischer Analyse und Synthese sein kann. So entwickelt er seine Philosophie denn auch als einen »fantastischen Mathematismus«[26], mit welchem, wie wir nahelegen möchten, Serres’ Modell von Ordnung, als das Sein von Neuigkeit-im-Allgemeinen, eine mediale Architektonik auszurichten imstande wäre. Wissenschaftliches Verstehen, Erforschen und Gestalten in diesem Sinne würde sich nicht unmittelbar als Natur-,Technik-, Kultur- oder Geisteswissenschaft begreifen lassen, sondern müsste sich primär als Wissenschaft des Städtischen verstehen und sich aus einer Natur von Intellektualität im Allgemeinen verpflichten.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil Virtualität und Medialität erfolgt weniger eine Argumentation für eine bestimmte Perspektive als eine einführende Darstellung der größeren Problematik, innerhalb derer Medien als Medien überhaupt ein eigenständiges Thema geworden sind. Das erste Kapitel widmet sich der Genealogie des Konzeptes von Medialität, welches im medienwissenschaftlichen Diskurs eng mit demjenigen der Virtualität verknüpft ist. Im zweiten Kapitel wird der Prozess der technischen Informatisierung als kulturgeschichtliche Wendezone beschrieben, welche den Cartesianischen Dualismus von ausgedehnten Dingen (Res Extensa) und Dingen die nur Denkbar sind (Res Cogitans) in eine Krise drängt. Und im dritten Kapitel wird das Problem des Verhältnisses von Information und Zeichen aufgegriffen und anhand der Frage nach der Referenzialtät von Zeichen diskutiert. Insgesamt werden so unterschiedliche Verzweigungen innerhalb der aktuellen medienwissenschaftlichen Literatur skizziert und einführend erläutert.

Im zweiten Teil Formen und Strukturen von Integrabilität wird das heute apostrophierte mediale Apriori in den kulturgeschichtlich umfassenderen Zusammenhang einer ganzen Genealogie von konkurrierenden Apriori gestellt. Im Kapiel Virtualität und Konstruktionsform erfolgt der Vorschlag, die mit diesen Apriori jeweils assoziierten Denkformen vor dem Horizont eines philosophischen Verständnisses von Virtualität als so etwas wie »Konstruktionsformen« zu begreifen, welche genuin theoretische Anschaulichkeit ermöglichen und so Medienwissenschaft als eine praktische Komparatistik orientieren könnten. Im Kapitel Zum Topos der Begrenzung greifen wir die Grundannahme von Foucault auf, dass es in der Auseinandersetzung mit Historizität heute mehr als um alles andere um Ausschnitte und Grenzen gehen muss. Dieses Kapitel widmet sich mit perspektivierendem Gestus und einem analytisch-archäologischen Blick einigen Formen und Strukturen von Integrabilität und den damit assoziierten Topoi von Begrenzung. Im Kapitel Funktion, Sinn und Form wird das von Deleuze philosophisch gefasste Differential in seiner mathematikgeschichtlichen Herkunft eingeführt und in seiner Eingliederung in den philosophischen Horizont kontextualisiert. Abschließend erfolgt eine Diskussion, inwiefern der für Deleuzes Differentialphilosophie konstitutive Begriff des Virtuellen eine Orientierung verspricht hinsichtlich jener Selbstbezüglichkeit und scheinbarer Unbegründbarkeit, wie sie mit dem Aufkommen modernen Ordnungsvorstellungen und ihrer jüngeren Instanziierung in den diversen logistischen Netzwerken einhergehen.

Im dritten und letzten Teil werden die beiden Perspektiven des ersten und zweiten Teils hinsichtlich des scheinbar unauflösbaren wie auch in absoluter Weise unbegründbaren Verhältnisses von Theorie und Synthese zusammengeführt und vor dem fantastisch-spekulativen Horizont einer Virtualisierung von Dialektik erörtert. Hier erfolgt die medientheoretische Diskussion von Themen rund um das Paradigma von logistischen Netzwerken, probabilistischen Analysen und Modellierungen, kalkulierbaren Simulationen und bildgebenden Rendering-Verfahren.

Das Buch schließt mit einem Vorschlag, wie sich ein generischer Begriff von Medialität fassen ließe: als abstraktes Differential von Zeichensituationen-im-Allgemeinen – das heißt Zeichensituationen in einen unendlich reichen Zusammenhang gebracht, dessen Charakterisierungen sich experimentell analysieren und formal explizieren lassen. Hier werden die eben dargelegten Gedanken zur Genese des Städtischen und insbesondere zu deren gegenwärtigen Form als generische Urbanität (das Städtischen im Allgemeinen) noch einmal aufgegriffen. Ein generischer Begriff von Medialität müsste, so soll nahegelegt werden, mit der generischen Form des Städtischen nicht länger in einem konsumtiven Widerspruch stehen. Beide könnten sich reziprok in einer Entwicklung bedingen, die singulär, unbestimmt und offen ist, ohne bedingungslos zu sein – das heißt in einer Entwicklung, die zugänglich wäre für Kritik. Wir hatten insistiert, dass auch die generische Form des Städtischen die Singularität des Städtischen nicht preisgeben sollte, und vorgeschlagen, das Reale dieser Singularität in einer Chiffre verkörpert zu sehen. Die Möglichkeit einer unbestimmten und offenen Entwicklung, die dennoch nicht bedingungslos wäre, hängt davon ab, das Reale, welches diese Chiffre verkörpert, weder unmittelbar noch unkritisch und fantasielos-schematisch zu erörtern, charakterisieren und bestimmen zu suchen. Stattdessen gilt es, das Reale (symbolisch gefasst als Chiffre) auf der Bühne eines Denkens zu thematisieren, das sich seiner notwendigen Abstraktheit (besser wäre: »Abstraktivität«) kritisch bewusst ist und weiß, dass Ideenreichtum und Realitätsgehalt sich für eine gegenseitige Entsprechung in Form bringen müssen, bevor sie etwas miteinander zu tun haben können.

[1] Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Band 1: Berlin 1930, S. 8/9.

[2] Ebenda, S. 9.

[3] Michel Serres, »Anfänge«, in: ders. und Ilya Prigogine, Isabelle Stengers, Serge Pahaut, Anfänge, Berlin 1991, S. 18.

[4] Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle, Düsseldorf 1992, S. 18.

[5] Michel Serres, »Anfänge«, S. 18.

[6] Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle, S. 18.

[7] Hier sei stellvertretend genannt: Georg Christoph Tholen, »Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine«, in: Norbert Bolz, Friedrich Kittler und Georg Christoph Tholen (Hrsg.), Computer als Medium, München 1994, S. 110–135, hier S. 114; vlg. zur allgemeinen Bedeutung, die McLuhand heute zugesprochen wird auch Derrick de Kerckhove, Martina Leeker und Kerstin Schmidt (Hrsg.), McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2008.

[8] Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle.

[9] Erich Hörl, Die heiligen Kanäle. Über die archaische Illusion der Kommunikation, Zürich und Berlin 2005, hier zitiert vom Klappentext.

[10] Michel Serres, »Anfänge«, S. 18.

[11] Michel Foucault, »Andere Räume«, in: Karlheinz Barck u. a. (Hrsg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder die Perspektive einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S. 34–46, S. 5.

[12] Ebenda.

[13] Alfred North Whitehead, Process and Reality, New York 1992 [1929], S. 39.

[14] Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1981 [1969], S. 9.

[15] Ebenda.

[16] Ebenda, S. 12.

[17] Ebenda, S. 9.

[18] Ebenda, S. 15.

[19] Ebenda, S. 12.

[20] Ebenda.

[21] Ebenda.

[22] Ebenda.

[23] Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main 1991, S. 32.

[24] »Wir stellen Nicht-A dx gegenüber, und entsprechend dem Symbol des Widerspruchs das der Differenz […] – und ebenso der Negativität die Differenz an sich selbst. Freilich sucht der Widerspruch die Idee seitens der größten Differenz, während das Differential Gefahr läuft, in den Abgrund des unendlich Kleinen zu stürzen. Das Problem ist damit aber nicht richtig gestellt: Es ist falsch, den Wert des Symbols dx mit der Existenz der Infinitesimalen zu verbinden; aber es ist ebenso falsch, im Namen ihrer Ablehnung jenem Symbol jeglichen ontologischen oder gnoseologischen Wert zu verweigern.« Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992 [1968], S. 220.

[25] Ebenda.

[26] Ebenda.

 

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